Zungenbrecher – Gedanken zum Pfingstfest 2023

Jedes Jahr bei der Vorbereitung des Pfingstgottesdienstes muss ich ein wenig schmunzeln. Da erinnere ich mich immer an meine Heimatpfarrei, in der ich für die Erstellung der Lektorenpläne zuständig war. Und just für den Pfingstsonntag hieß es von vielen Lektor*innen: teil mich da bloß nicht ein! Der Grund dafür war nicht eine Abscheu gegen den Heiligen Geist oder die urlaubsbedingte Abwesenheit vieler meiner Mitstreiter*innen, sondern schlicht der, nennen wir es mal: übergroße Respekt vor den vielen Völkern mit den unaussprechlichen Namen im Lesungstext: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin. Alle diese fremdländischen Menschen hören, so erzählt es Lukas in der Apostelgeschichte, sie alle hören die Apostel in ihren Sprachen Gottes große Taten verkünden. Und das ist dann wohl wirklich so etwas wie ein Wunder, denn wie mögen erst die Sprachen dieser Völker klingen, deren Namen schon echte Zungenakrobatik erfordern.

Wie geht so etwas, habe ich mich gefragt. Wie ist es möglich, dass eine derartige Sprachfülle aus zwölf, gerade noch völlig verängstigten Männern hervorbricht? Natürlich hat diese Erzählung vor allem symbolischen Charakter. Sie weist voraus auf die Sendung der Apostel, auf ihren Auftrag, zu allen Völkern zu gehen und von Jesus und dem Reich Gottes zu erzählen. Hier in Jerusalem, bei diesen symbolischen Vertreter*innen aus 12 Nationen, die es zum Teil bei der Abfassungszeit schon gar nicht mehr gibt, lässt Lukas diese Mission starten, gleichsam um einen weiten Horizont zu zeichnen, den die jungen Gemeinden dann mit ihrem Leben füllen werden. Zugleich ist der Bezug zu einer anderen biblischen Sprach-Geschichte nicht von der Hand zu weisen: zum Turmbau von Babel. Die dort durch Hochmut verursachte Sprachverwirrung wird hier am ersten Pfingstfest durch das Wirken der Geistkraft überwunden. Ein von Gott gewirkter Schritt back to the roots, ein Aufblitzen des Ziels der Heilsgeschichte: des Lebens in Fülle, das es zu Anfang in paradiesischen Zeiten schon gab, wo die Menschen einander verstanden haben – einfach so.

Ja, Lukas spannt hier einen großen heilsgeschichtlichen Bogen mit der Erzählung des Sprachenwunders und bringt dadurch seine Überzeugung von der unbändigen Wirkkraft des Gottesgeistes ins Wort. Mich lässt aber, bei aller Erzählkunst und aller theologischen Symbolik die Frage von vorher noch nicht los: Wie kann das gehen? Oder anders gefragt: Wie müsste eine Sprache beschaffen sein, die alle Menschen verstehen? Oder nochmal etwas präziser auf die Apostel hin formuliert: Wie muss man von Gottes großen Taten reden, damit dies wirklich zu Herzen geht? Eine Sprache für alle Menschen, dieses Ansinnen war gerade in der Kolonialzeit des 19. und 20. Jahrhunderts durchaus weit verbreitet. Am bekanntesten sind wohl die sog. Welthilfssprachen und darunter vor allem das „Esperanto“. Die Welthilfssprachen mit ihrer simplen Grammatik sind der Versuch, auf künstlichem Wege eine allgemeingültige „Weltsprache“ zu schaffen, ein Versuch, der allerdings nur mäßig geglückt ist – das Englische hat sich da, trotz der doch nicht ganz einfachen Erlernbarkeit, durchgesetzt. Und das zeigt, dass die Frage nach einer Sprache für alle Menschen, nicht auf der Wort- und Satzebene betrachtet werden kann. Es geht vielmehr ganz grundsätzlich um gelingende Kommunikation.

Ich muss also meine Frage umformulieren: Wie müsste Kommunikation beschaffen sein, damit sie gelingt, damit es zu echter Begegnung kommt? Zu einer Antwort auf diese Frage können wir alle etwas beitragen. Ich persönlich denke dabei an eine Kommunikation auf Augenhöhe, an eine Begegnung, die die*den andere*n als Person sieht; ich denke an Zuhören, Wertschätzung und Verständnis. Ich denke an Mut und Vertrauen. Ich denke an Offenheit und Herzlichkeit – aber auch an Klarheit und Wahrhaftigkeit. Ich denke an echtes Interesse aber auch an einen guten Selbststand. Und ich glaube, diese Liste könnte man noch um einiges verlängern. Wäre es nun vermessen zu sagen, dass überall da, wo diese Werte gelebt werden, Gottes Geist am Werk ist? Ja, den Heiligen Geist wünsche ich mir für unser menschliches Miteinander, dass die gerade beschriebenen Haltungen nicht die Ausnahme sondern die Regel sind: im zwischenmenschlichen Kommunizieren, in unserer Kirche aber auch im großen globalen Gefüge – und ich weiß auch, dass es da so manches neuerliches „Pfingstwunder“ wohl noch braucht.Eine Frage ist noch übrig geblieben, und zwar eine ganz entscheidende für uns als Kirche: Wie kann man vom Reich Gottes reden, dass es zu Herzen geht, dass es ankommt und etwas in Bewegung kommt? Schnell ist man dabei, dieses „Sie alle wurden mit Heiligem Geist erfüllt und begannen in fremden Sprachen zu reden“ mit dem Wort „Begeisterung“ zu verknüpfen und ein Vorher-Nachher-Bild zu zeichnen: erst die eingeschüchterten, verängstigten, eingeschlossenen Trauernde, dann die die begeisterten, hochmotivierten und nahezu nicht mehr zu bremsenden Verkünder der frohen Botschaft. Das ist mir persönlich aber viel zu einfach gedacht. Ich kann mir das einfach nicht vorstellen, dass das Sturmesbrausen des Geistes alles das, was die Apostel vorher erlebt hatten, einfach hinweggepustet hat. Die ganze Geschichte, die sie mit Jesus erlebt hatten, gerade auch mit den dunklen Stunden der Kartage, sie bleibt ein Teil von ihnen – und das ist etwas ganz Entscheidendes. Denn ich glaube, dass gute Verkündigung zwar vor allem durch die Freude der Auferstehung getragen wird, aber auch und gerade durch die eigenen Karfreitagserfahrungen Authentizität gewinnt. Der Glaube an unseren gekreuzigten und auferstanden Herrn ermöglicht es doch, die Kreuze und Gräber bei mir selbst und im Leben der anderen wahrzunehmen, liebevoll darauf einzugehen und aus der eigenen Erfahrung heraus eine Perspektive der Hoffnung einzubringen. Ja, hoffnungsvoll sollte das Reden vom Reich Gottes sein, hoffnungsvoll und voller Freude – nicht als ein Halleluja in Dauerschleife, sondern eher als dankbare Zuversicht, dass der Glaube weitersieht als bis zum Rand des Abgrunds.

Ich wünsche Dir und mir vor allem, dass uns dieses Pfingstfest Mut machen kann! Mut, zu einer Kommunikation in der Kraft des Heiligen Geistes. Mut, offen und herzlich auf uns selbst und auf andere zuzugehen. Mut, dem Geist Gottes im eigenen Leben zu trauen, seine Spuren zu suchen und anderen auch davon zu erzählen – mehr noch als mit Worten durch unser Leben. Pfingsten will uns nicht einschüchtern, sondern aufrichten und beflügeln, es mit den Aufgaben unseres Lebens und Glaubens aufzunehmen, mit den großen Herausforderungen genauso wie mit den kleinen pfingstlichen Lesehürden der Parther, Meder und Elamiter.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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