weiß – Gedanken zum Weißen Sonntag 2024

In den Kichen der Katholischen Tradition trägt der heutige Sonntag vielerorts den Namen „Weißer Sonntag“ Dies hat seinen Ursprung in der Tradition der Alten Kirche, dass die, die an Ostern getauft wurden, ihre Taufkleider eine Woche lang trugen und diese am Oktav-Tag, also am Sonntag nach Ostern, wieder ablegten. Der Ritus der Taufe ist in den ersten Jahrhunderten viel eindrucksvoller gewesen als heute, das muss man wohl unumwunden zugeben. Die Täuflinge, allesamt erwachsene Menschen, die einen langen Weg des Hineinwachsens in den christlichen Glauben hinter sich hatten, wurden in der Osternacht in eigens in den Kirchen dafür installierten Taufbecken (heute würde man sagen: Tauf-Jacuzzis) dreimal komplett untergetaucht. Eintauchen – das ist auch die Grundbedeutung des mittelhochdeutschen Wortes daupjan, das unserem Taufen zu Grunde liegt. Ein archaischer, in seiner Symbolik ungemein tiefer Ritus: alles Alte, alles, was von Gott trennt, alle Sünden sollten von den Täuflingen abgewaschen werden. Wie Jesus hinabstieg in das Reich des Todes, so sollen auch die Taufbewerber hinabsteigen auf den Grund des Wassers, um dann wieder aufzutauchen und so symbolisch die Auferstehung am eigenen Leib zu spüren, die Gott in Jesus Christus allen Menschen eröffnet hat.

Nach diesem besonderen Bad nun wurden die Getauften mit einem weißen Taufgewand bekleidet. Damit wurde einerseits Bezug genommen auf einen sehr schönen Gedanken des Apostels Paulus: Wir alle haben Christus als Gewand angezogen, schreibt er im Brief an die Galater. Christus als Gewand angezogen – und das unverlierbar und ohne Bedingung; ich finde das ist ein ganz wundervoller Gedanke! Wir alle, so wie wir sind, haben Jesus Christus als Gewand angezogen. Dieses Gewand ist freilich keine Uniform, sondern etwas ganz Persönliches; ein Zustand, ein Dasein, eine Verbindung, die uns berührt, wärmt, schützt und etwas her macht – eben wie die Kleidung. Und das kann in unterschiedlichen Lebensphasen auch ganz unterschiedlich aussehen. Wie stellst du dir ein „Taufkleid“ jetzt gerade aus? Vielleicht ist es ja wie ein wärmender Mantel, weil du im Glauben gerade Geborgenheit spürst oder sie dir wünschst. Vielleicht ist es ja wie eine schusssichere Weste, weil dein Glaube dir hilft, mit den Herausforderungen des Lebens klar zu kommen und daran nicht zu zerbrechen – oder weil du dir genau dies erhoffst. Vielleicht ist es aber auch nur schwungvoll arrangierter Schal, weil der Glaube gerade kein großes Thema für dich ist, du aber gerne deine Zugehörigkeit nach außen zeigst. Vielleicht ist es auch ein T-Shirt, das dir zu klein oder zu groß ist oder Risse und Flecken hat, weil du gerade mit deinem Glauben ringst und manches nicht oder nicht mehr recht passt. Da einmal hinzuspüren tut gut, finde ich. Dabei dürfen wir uns aber einer Sache ganz besonders bewusst werden: egal, wie unser Taufkleid aktuell aussieht – es kann sich wandeln und es wird uns nicht wieder genommen. Wir bleiben mit Jesus verbunden, komme was wolle – und das ist für mich persönlich ein sehr sehr wohltuender Gedanke.

Soviel einmal zum Taufkleid selber. Schauen wir als nächstes noch auf die Farbe. Denn das Weiß des Taufkleides ist auch ganz bewusst gewählt. Weiß steht für Reinheit, für Licht und auch für alles Himmlische. Mit der weißen Farbe ist damit auf das Ziel jedes Glaubensweges verwiesen, auf die erlöste Gegenwart in Gottes Ewigkeit, die freilich durch alle Getauften, die dieses Gewand angezogen haben, im Hier und Jetzt schon gegenwärtig werden darf. Ja, jede*r von uns hat mit diesem Taufkleid auch eine ganz wichtige Aufgabe mitbekommen, die ich, die Werbung zitierend, „Weißmacher*in“ nennen möchte. Nicht in dem Sinn, dass wir anderen etwas weismachen wollen, also altklug und oberlehrerhaft andere belehren wollen, wenngleich man das leider viel zu oft mit den Kirchen in Verbindung bringt. Nein, es geht darum, dieses Weiß Gottes in die Welt zu tragen. So wie die Engel am Grab Jesu in den Evangelien weiße Gewänder trugen und den Jünger*innen von dem großen Geschehen der Auferstehung erzählt haben, so dürfen und sollen wir Zeug*innen der Auferstehung sein. Wie geht das? Wie gesagt, nicht durch weismachen, durch viele kluge Worte, sondern vor allem durch ein Leben in der Hoffnung der Auferstehung, durch Zuversicht, die wir ausstrahlen, durch Freude und Dankbarkeit, aber auch durch ein beherztes Eintreten für das Leben und die Barmherzigkeit. All das steckt drin in dieser Farbe weiß im Kontext des Osterfestes und auch hier möchte ich dich fragen: wie sieht dein Weiß gerade aus? Welche Schattierung der Farbe der Auferstehung siehst du gerade ganz deutlich in deinem Leben – oder welche wünschst du dir ganz sehnlich? Oder wo ist das weiß deines Taufkleides gerade gar nicht mehr gut erkennbar und es wäre ein Waschgang oder eine Auffrischung nötig?

Ich selber kann mich natürlich nicht mehr an meine Taufe erinnern und kann auch nicht sicher sagen, ob mir damals ein Taufkleid aufgelegt wurde (üblicherweise machte man das so in den 80er Jahren). Wohl erinnere ich mich aber noch an meine Einkleidung im Kloster. Damals habe ich auch ein weißes Gewand angezogen bekommen, das zwar eine ganz andere Symbolik und Bedeutung hatte, aber der Ritus war doch ähnlich. Und das Gefühl danach, das habe ich schon noch sehr präsent: Ehrfurcht, Freude, ein wenig Stolz auch, leicht überfordert, weil es so viel Stoff war und spätestens nach der Liturgie dann die Sorge, wie lange ich ohne Flecken auskommen werde. Zumindest einiges davon, so möchte ich mutmaßen, dürften die Neugetauften in der Antike vielleicht auch gefühlt haben. Zumindest die ersten beiden Emotionen, die Ehrfurcht und die Freude, die wünsche ich auch dir heute an diesem Weißen Sonntag [und ganz besonders auch Euch, liebe Lisa, lieber Michael]. Freude, dass Du zu Jesus gehören darfst, dass er dich birgt und begleitet, dass auch über deinem Leben die große Überschrift „Auferstehung“ steht. Und die Ehrfurcht, vielleicht besser: den Respekt und die Ernsthaftigkeit für die Aufgabe, anderen Menschen dabei zu helfen, dass auch sie diese Überschrift in ihrem Leben (neu) entdecken können!

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gold – Gedanken zum Ostersonntag 2024

40 Tage lang haben uns die Farben des Regenbogens auf unserem Weg zu diesem Fest heute begleitet. Wir haben begonnen mit dem Grau des Aschermittwochs, sind dann weitergegangen zum Violett als Symbol für die Hoffnung auf Gerechtigkeit. Es folgte blau für Klarheit und Vertrauen; sodann grün für Lebendigkeit und Hoffnung. Weiter ging der Weg über das Gelb des Lichtes zum Orange der Sehnsucht. Am Palmsonntag schließlich eröffneten wir unseren Weg in die Heilige Woche mit Rot, der Farbe des Blutes und der Liebe. Und am Gründonnerstag haben wir uns der Farbe braun zugewandt: Erde und Brot, um dann beim tiefen schwarz des Karfreitags zu verweilen. Ein bunter Reigen an Farben, dem meiner Meinung nach noch die Krone fehlt – und eine Krone muss golden sein.

Gold: ich finde, diese Farbe passt hervorragend zum Osterfest. Gold ist wertvoll und glänzt und trägt vielerlei Symbolik in sich: Weisheit, Ewigkeit, Macht, Unverfügbarkeit. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass das Gold in der christlichen Malerei immer auch für das Göttliche steht, für das machtvolle, unverfügbare, weise und ewige Wirken Gottes in und an der Welt. Und genau das durften wir auf unserem Weg von Gründonnerstag bis zur heutigen Osternacht nachgehen und nachspüren: die Schöpfung, der Bundesschluss mit Noach, der Exodus, Tod und Auferstehung Jesu und die endzeitlichen Verheißungen – all diese Glaubens-Geschichten zeugen vom „goldenen“ Wirken Gottes und wollen Glanz in diese so besondere Nacht bringen.

Gold also. Wie viel davon aber braucht unsere Osternacht und mehr noch: unser Osterglaube? Eine schöne Metapher wäre diese: Ostern vergoldet unser Leben. Wirklich ein schönes Bild – aber doch etwas zu überschwänglich, finde ich. Freilich, die Hoffnung auf die Auferstehung bringt großen Glanz in unser Leben. Aber es bleiben ja trotzdem die trüben Tage und schwarzen Nächte, die auch der tiefste Glaube nicht vergolden kann. Vergolden, also einen Untergrund flächig mit Blattgold überziehen ist in diesem Kontext, finde ich, ohnehin das falsche Bild. Ich möchte Dir heute stattdessen ein anderes anbieten, bei dem das Gold eine andere Aufgabe bekommt.

Hast Du schon einmal von Kintsugi gehört? Das ist eine traditionelle japanische Technik, die zerbrochenes Geschirr auf eindrückliche Weise repariert. Die einzelnen Scherben werden mit einem speziellen Lack wieder miteinander verbunden. Die so entstandenen Nähte, die wie Narben erscheinen, werden mit Gold bemalt. Das Besondere bei Kintsugi ist, dass diese Kunst die Bruchstellen nicht kaschiert, sondern sie hervorhebt – und veredelt! Schön ist in diesem Verständnis nicht das Perfekte und Makellose, sondern das Unvollendete, das geheilt Verletzte, dem man das Leben mit allen Spuren bleibend ansieht.

Wie wäre es, sich Gott als Kintsugi-Meister des eigenen Lebens vorzustellen? An Ostern hat er doch seine Kunst der Welt vorgeführt: Der Auferstandene trägt die Wundmale an seinem Leib. Er kaschiert sie nicht, er versteckt sie nicht unter seiner Kleidung, sondern er zeigt sie. Sie gehören zu ihm. In der Auferstehung heilt und veredelt Gott seinen zerbrochenen Sohn – und mit ihm heilt und veredelt er auch alles Zerbrochene in uns. In jedem Gefäß, dass mit goldenen Nähten wieder heil gemacht wurde, lässt sich also der tiefste Kern des christlichen Glaubens entdecken: Das Scheitern, das Versagen, die Zerbrechlichkeit, das Sterben – all das gehört zum Leben, unabdingbar. Gott aber kann in seiner goldenen Macht all das nehmen und wieder zusammensetzen und verwandeln zu neuem, anderem geheiltem Leben. Er tut dies nicht im Vorübergehen und lässt uns die Brüche auch nicht vergessen; vielmehr will er aus den Scherben des Lebens seinen goldenen Glanz aufleuchten lassen – in uns und für unsere Welt. Überall, wo ich das spüre oder erahne, ist die Auferstehung schon geschehen.

Wenn Du heute Ostern feierst, dann darfst Du das Zerbrochene in deinem Leben Gott hinhalten, damit er es heilt und vollendet. Viele Scherben des Lebens sind schlichtweg verloren gegangen, weil Menschen nicht mehr da sind, die Du um Verzeihung bitten möchtest; weil manche Fehler schlicht nicht wieder gut zu machen sind. Aber auch das ist kein Grund, den Mut wieder sinken zu lassen. Denn wo wie der Kintsugi-Meister fehlende Scherben nachgebildet und an entsprechender Stelle einsetzt, so vollendet Gott auch das, was fehlt – wiederum mit Gold, sodass die vermeintliche dunkle Lücke dann umso mehr glänzt. Wenn ich auch nicht weiß, wie all das geschehen soll, so will ich fest darauf hoffen und auch Dich dazu ermutigen, darauf zu vertrauen.

Ruthann Hurwitz, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

schwarz – Gedanken zum Karfreitag 2024

Wie kann es sein, dass wir heute von einer Feier sprechen? Heute an diesem liturgisch traurigsten Tag des Jahres? In dieser Stunde gehen wir die letzten Stunden Jesu mit, von Pilatus bis ans Kreuz, von Golgotha bis ins Grab. Natürlich wissen wir, wie die Geschichte weitergeht – doch heute bleibt heute. Noch ist erst Karfreitag und kein Halleluja kommt uns über die Lippen. Ein stiller Tag – oder gar ein schwarzer Tag? Schwarz ist die Trauer, schwarz der Blick der Pessismisten, schwarz auch die Angst, die die Seele bedrückt. Schwarz ist die Nacht und geschwärzt das, was niemand lesen soll.

So viel schwarz in unserer Sprache und auch an diesem Karfreitag – und so wenig Licht? Heute noch nicht – und das vielleicht, so denke ich, aus gutem Grund. Schwarz ist dieser Tag, damit die Schwärze in uns einfach schwarz sein darf. Damit die Angst, die uns quält, die Sorgen, die drücken, die Verzweiflung, die an den Nerven zerrt und die Trauer, die lähmt und niederdrückt, damit all das in der Schwärze dieses Tages sich wiederfinden darf. Alles Schwarze in uns hängt da mit Jesus am Kreuz. Alles Schwarze der Welt findet Widerhall im sich schwärzenden Himmel von Golgotha. Wenn Jesus zu seinem Gott ruft, warum er von ihm verlassen sei, dann spricht er vielleicht genau das aus, was wir uns vielleicht nicht aussprechen trauen. Wo bist Du Gott angesichts all der Schwärze in der Welt und in mir?

Wer trauert, trägt schwarz. Wer Angst hat, Sorgen, Fragen und Zweifel – tut dies innerlich auch. Schwarz tragen und damit die eigenen schwarzen Gefühle nicht leugnen, sondern zulassen – das ist wichtig, weil es heilsam sein will. Und um heil sein und heil werden geht es heute auch. Schwarz tragen meint nämlich nicht schwarzsehen. Denn dieser Tod, den wir heute betrachten, Jesu Weg ans Kreuz, ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang – für jede und jeden von uns. Es gibt Hoffnung, es gibt diese Spuren von Licht auch an diesem schwarzen Tag. Als Jesus stirbt, da reißt der Tempelvorhang. Von Oben bis unten tut sich ein Riss auf und gibt den Blick frei ins Herz dieses heiligen Ortes – und damit auch ins Herz Gottes selber. Gott lässt Jesus am Kreuz zerbrechen, weil seine Liebe ungebrochen ist, weil seine Zusage des Lichtes in der Dunkelheit durch nichts gebrochen werden kann. Noch immer und vielleicht sogar viel mehr ist Gott uns nahe, um auch uns dieses Licht ins Leben zu legen. Die bunte Fülle dieser göttlichen Zuwendung steht gerade jetzt, an diesem dunklen Punkt der Geschichte Jesu unverbrüchlich im Raum – und leuchtet vielleicht heller als je zuvor.

Und auf einmal kommen unserem schwärzlichen Glauben vielleicht die Worte, die Farben, den Duft und die Klänge der kommenden Tage in den Sinn – und auch das ist gut so. Ostern steht bevor, das traurige Feiern will sich wandeln in Freude. Im Leben ist das nicht immer so leicht, weil das schwarz oft so übermächtig und unbezwingbar erscheint. Vielleicht mag es an manchen schwarzen Tagen helfen, sich an diesen schwarzen Tag zu erinnern, sich an Jesus zu halten, wissend um sein Ende, das doch erst der Anfang war. Vielleicht mag es helfen, ihn einzuladen in meine Schwärze, mit seinem Licht und den Farben seines Lebens – nicht in der Erwartung, dass alles übertüncht wird, sondern dass er es mitgeht, mitträgt und Stück für Stück heilt – auf seine Weise. Und vielleicht mag aus alledem eine Hoffnung erwachsen, eine Hoffnung, die mich über die Schwärze hinausblicken und hinausgehen lässt – in kleinen aber stetigen Schritten. Denn vor allem die Hoffnung trägt und birgt – wie es Alois Albrecht vor einigen Jahrzehnten so wunderschön gedichtet hat:

Unsere Hoffnung bezwingt die schwarze Angst.

Wir sehen schon den Regenbogen des Bundes.

Wir träumen die Zukunft, die menschlich wird mit dir,

weil du unser Gott bist.

Unsere Hoffnung bezwingt den bleichen Tod.

Wir sehen schon das Gold des Sieges, des Friedens.

Wir träumen das Leben, das ewig währt, bei dir,

weil du unser Gott bist.

Unsere Hoffnung gewinnt das neue Land.

Es leuchtet schon im Regenbogen alle Welt.

Wir träumen die Schöpfung, die vollendet wird in dir,

weil du unser Gott bist.

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braun – Gedanken zum Gründonnerstag 2024

Violett, blau, grün, gelb, orange, rot – das sind die Farben des Regenbogens, die uns durch die Fastenzeit gute Wegbegleiterinnen waren. Wenn sie nicht, wie im Regenbogen, aufgespalten werden, sondern einfach als Licht zusammenkommen, dann wird es hell. Von weißem Licht spricht man dann. Wenn man diese Farben z.B. mit dem Malkasten mischt, dann entsteht etwas ganz Gegensätzliches: ein ziemlich scheußliches Braun. Braun hat nicht unbedingt große Chancen jemandes Lieblingsfarbe zu werden – und doch steckt auch darin viel an Symbolik und Kraft, besonders auch passend für den heutigen Gründonnerstagsabend.

Braun – das ist die Farbe der Erde, des Bodens, des Drecks. Genau dahin lässt Johannes seinen Jesus sich heute hinbegeben, auf den Boden, zu den staubigen Füßen seiner Jünger. Dieser dreckige Boden heißt auf Latein humus, ein Wort, das sich auch im Deutschen bei Gartlern gut eingebürgert hat für die fruchtbaren Bodenschichten. Ausgehend von diesem humus ist ein anderes Wort entstanden: humilitas – die Demut, also im Grunde genau das, was Jesus hier tut. Er beugt sich hinunter, auf den Boden; er ist sich dafür nicht zu schade; er erniedrigt sich, wie die theologische Sprache gerne sagt. Ja, das menschgewordene Antlitz Gottes beugt sich hinab und scheut auch den Schmutz und den Dreck, den humus nicht – das ist ein Grundsatz unseres Glaubens, der nicht oft genug bedacht werden kann. Ja, wo sich jemand klein macht vor mir und mein Wohl im Auge hat, da kann ich ihm leicht meine Unsicherheit anvertrauen, kann ihm zeigen, wo auch ich klein bin und mir wie Dreck vorkomme – weil ich verletzlich bin oder verletzt wurde, weil ich ausgegrenzt oder gemieden bin. Da kann ich erkennen und mir eingestehen, dass ich angewiesen bin auf Liebe und Hilfe von jemand anderem. Jesus will allen, die sich von ihm in berühren und bedienen lassen, Gemeinschaft und Freundschaft schenken – und ermutigt dazu, diesen Weg hinein in die humilitas, diesen Weg des Mutes zum Dienen, was Demut wörtlich bedeutet, ihrerseits einzuschlagen. Das freilich kostet ungemein viel Kraft, bisweilen Überwindung und vor allem einen langen Atem der Geduld…

Eine Hilfe dazu bietet wiederum etwas Braunes. Wir begeben uns heute erinnernd in dieser Feier hinein in das letzte Abendmahl und dürfen Anteil bekommen an Jesu Liebe in dem braunen Brot, das wir heute brechen, teilen und essen – so wie es die Apostel damals mit Jesus taten. Dieses Tun macht uns mit allen Sinnen bewusst, dass wir von Gott geliebte Menschen sind – egal ob wir selbst oder andere uns dieser Liebe würdig erachten oder nicht; dass wir fähig und würdig sind, diese Liebe auch selber weiterzugeben. Du sollst leben – das wird uns in jeder Eucharistiefeier zugesagt, jedes Mal, wenn wir das tun, was Jesus uns am letzten Abend seines Lebens aufgetragen hat: wenn wir das Brot miteinander brechen und den Wein miteinander teilen. Das ist mein Leib, das ist mein Blut – für Euch. Ich möchte Dich heute Abend gar nicht groß ins theologische Denken führen, dazu gibt es andere, bessere Gelegenheiten. Begreifen können wir dieses Geschehen ohnehin niemals ganz, weil unser Denken immer zu klein bleiben wird, um die Größe Gottes und seiner Liebe zu fassen. Begreifen können wir das nicht, was wir heute Abend feiern, aber berühren, mitvollziehen und vor allem schmecken. Ein kleines Stück Brot und ein bisschen Wein: ein ganz eigener Geschmack auf der Zunge, ein Moment des gemeinsamen Essens – das kann uns aufgehen lassen, dass Jesus immer noch da ist, im Brot und im Wein, aber auch genau so dort, wo liebevolle Zuwendung gelebt und geschenkt wird. Ja, es gibt Hoffnung, weil es Liebe gibt. Geheimnis des Glaubens – mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen… Ich wünsche Dir nicht nur aber vor allem für heute Abend, dass das braune Brot Dir Kraft und Mut schenken kann für Deinen ganz persönlichen Glaubensweg, der immer wieder auch hinunter auf die braune Erde führen wird. Ich wünsche Dir, dass die Erfahrung, trotz aller Schattenseiten von Gott geliebt zu sein, Dir hilft, diese Erfahrung des Angenommenseins auch anderen Menschen zu schenken – selbst dort, wo dies ein sehr anstrengendes Unterfangen wird. Und ich wünsche uns allen, dass wir als Gemeinschaft einander immer wieder stärken, ermutigen und trösten können, wenn wir Brot und Wein miteinander teilen, so wie Jesus es tat, als er von den Seinen Abschied nahm.

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rot – Gedanken zum Palmsonntag 2024

Bestimmt kennst und nutzt Du den Ausdruck „der rote Faden“. Man gebraucht dieses sprachliche Bild, wenn von einem durchgängigen Thema in einem Text spricht, von sinnvollen Verknüpfungen, einer erzählerischen Spur oder dergleichen. Unser roter Faden durch die Fastenzeit war ja der Regenbogen, der – passend zu diesem geflügelten Wort – heute mit der Farbe rot abschließt. Wusstest Du aber, wo dieses Wort vom roten Faden herkommt? Dieses Bild stammt aus der Seefahrt. Vor vielen Hundert Jahren passierte es leider sehr häufig, dass Seile und Taue von den Schiffen gestohlen wurden – was nicht nur höchst unmoralisch, sondern auch für die Schiffe durchaus gefährlich werden konnte. Ab dem 18. Jahrhundert haben deshalb die Engländer in die Seile der britischen Marine einen roten Faden eingearbeitet. Dieser Faden zog sich vom Anfang bis zum Ende der Seile durch. Und man konnte ihn nicht entfernen ohne das Tau kaputtzumachen. So konnte man an diesem besonderen Diebstahlschutz jederzeit erkennen, wem das Seil gehörte und die Übeltäter ggf. überführen.

Ein roter Faden nicht nur als ein willkommenes und wohltuendes stets wiederkehrendes Thema oder Motiv, sondern vielmehr als etwas Essentielles, ohne das das Ganze – in diesem Fall das Schiffstau – nicht sein kann. Mir gefällt diese Geschichte gut und ich möchte mich Dir heute einmal auf die Suche nach dem roten Faden im Leben Jesu gehen. Hierbei ist uns der Evangelist Markus ein sehr guter Wegweiser. Vielleicht erinnerst Du Dich noch an seine ersten Worte: Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Gottes Sohn. (Mk 1,1). Über 16 Kapitel hinweg erzählt Markus also eine Frohe Botschaft von Jesus, dem Christus, dem Messias, der Gottes Sohn ist. In diesen wenigen Worten, die für unsere postmodern-christlichen Ohren ganz alltäglich klingen, stecken ungemein viele Glaubensaussagen. Dieser Jesus von Nazareth, der die Menschen heilte, vom Reich Gottes erzählte, der Wunder tat und viele Anhänger*innen um sich scharte – dieser Jesus ist der Gesalbte Gottes; und als solcher sorgt er – verkürzt gesagt – dafür, dass das Himmlische, die neue Welt Gottes zum Durchbruch kommt. Zudem ist dieser Jesus auch und vor allem Gottes Sohn, Gottes Mensch gewordenes Gesicht – mitten in dieser Welt und doch nicht von dieser Welt, um es mit einem christlichen Liedermacher zu sagen.

Das könnte doch dieser rote Faden sein: Jesus, der Christus und Sohn Gottes, der Gottes Reich in die Welt und die Menschen näher zu Gott bringt. Das würde Markus sicher auch so sehen. Immer wieder lässt er verschiedene Personen diese Worte aussprechen: vor allem Menschen nach der von Jesus geschenkten Heilung werden zu den ersten Bekenner*innen. Das passt gut, denn gerade an der heilsamen und liebvollen Zuwendung Jesu zu den Armen, Kranken und Notleidenden wird der rote Faden seiner Sendung deutlich wie kaum woanders. Und auch deshalb passt die Farbe rot beim Bild des roten Fadens im Leben Jesu so gut: Rot, die Farbe der Liebe. Einer Liebe, die nicht nur auf der zweisamen Ebene stehen bleibt, sondern sich verschenkt, verströmt, in Dienst nehmen und sogar zerbrechen lässt – schlicht deshalb, um voll und ganz Liebe sein zu können. Diese Liebe wird in Jesus Mensch, ganz und gar – und wird allen Menschen zugänglich, die sich darauf einlassen wollen.

Dieses drei Wort „sich zerbrechen lassen“ – das passt durchaus zur bedingungslosen Liebe, aber passt es auch zu einem Messias und Gottessohn? Kann es sein, dass Gott nicht nur Mensch wird, sondern in diesem Menschsein auch zu Grunde geht, sterben muss, ja sogar hingerichtet wird? Für die Leser*innen und Hörer*innen zu der Zeit, in der Markus sein Evangelium schreibt, was das kaum vorstellbar. Umso wichtiger ist es ihm, so deuten es die Ausleger*innen unisono, sozusagen als Färbemittel für den beschriebenen roten Faden auch das Blut Jesu anzusehen. Jesus geht in den Tod; er sucht ihn nicht, er provoziert ihn vielleicht, vor allem aber nimmt er ihn an, weil er von seiner Botschaft, seinen Werten, seinem Innersten nicht ablassen kann: von der Liebe. Er geht ans Kreuz, ringt sterbend mit seinem Gott und stirbt. Markus schildert das Ende Jesu in ganz eindrücklichen Worten: „Jesus aber schrie mit lauter Stimme. Dann hauchte er den Geist aus. Da riss der Vorhang im Tempel in zwei Teile von oben bis unten. Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.“ (15,38f.)

Da ist er wieder, dieser rote Faden. Dieses Mal von einem Soldaten weitergesponnen. Ein Heide, einer, der mit der ganzen Sache nichts zu tun hat – ihn lässt Markus ohne Widerrede bekennen, dass Jesus Sohn Gottes ist. Zuvor lässt er noch den Tempelvorhang wie von Geisterhand in zwei Stücke zerreißen. Es gibt keine Zeugnisse über die Beschaffenheit dieses Vorhangs, aber für mich war dieser Vorhang eindeutig auch rot, gewoben aus roten Fäden. Der Vorhang, der das Allerheiligste im Tempel vor den Menschen abschirmen sollte, gibt nun den Blick frei. Worauf? Ein wenig auf Gott selber: Dieser Mensch, der hier so elendig gestorben ist, war Gottes Sohn und bleibt es auch. Dieser Mensch, dessen roter Faden die Liebe war und ist, bringt sie nicht mit Gewalt; vielmehr schreckt er aus Liebe auch davor nicht zurück, sein Blut zu geben für die Seinen. So ist Gott: den Menschen unendlich zugewandt und auch bereit, selber zu leiden, wenn es der Liebe und den Geliebten dient. Ja, das ist der rote Faden im Leben Jesu und wirklich ein Evangelium, eine gute, froh machende Nachricht. Schwer wiegt dieser Faden heute in unseren Händen, vielleicht auch kaum zu ertragen angesichts des Leidens, das heute im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Und doch ist es ein roter Faden der Hoffnung, da auch das Kreuz ihn nicht zerreißen konnte. Dieser Faden wird von Gott immer noch gewebt und reicht bis in unsere Tage, rot wie eh und je. Und ich wünsche Dir, dass Duihn gerade in dieser intensivenWoche besonders deutlich entdecken und spüren kannst.

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orange – Gedanken zum 5. Fastensonntag 2024

In den letzten Wochen gab es sie häufig zu sehen: die Morgen- und die Abendröte. Auf einmal war der Himmel nicht mehr nächtlich dunkelblau und auch noch nicht tageshellblau sondern gefärbt in einer Fülle von Rot-, Gelb- und vielfach Orange-Tönen. Ich bin von diesem Phänomen immer ganz begeistert, und muss dann schnell der ganzen Familie Bescheid geben, dass sie unbedingt aus dem Fenster schauen sollen. Ein Gefühl des Staunens, der Ehrfurcht, der Hoffnung, der Dankbarkeit und der Sehnsucht entdecke ich im Orange des morgendlichen und abendlichen Himmels. Gefühle, ja eigentlich fast schon Haltungen, die zu unserem Christ-Sein ganz grundlegend mit dazu gehören – mal mehr, mal weniger. Und die biblischen Texte des heutigen Sonntags bestätigen dies in sehr eindrücklicher Weise.

In der Lesung wendet sich der Prophet Jeremia in großen Worten an seine Volksgenossen, die ihr Dasein im Exil in Babylon fristen müssen. Ihr Land, ihre Heimat, ihr Tempel als Ort der Gottesbegegnung: alles liegt in Schutt und Asche und sie wurden in die Fremde verschleppt. In dieser Situation will Jeremia den Seinen Trost spenden, was für ihn gar nicht so leicht ist. Immer wieder stößt er als Prophet auf Widerstand und Ablehnung. Wie kein anderer hat er die Spannungen und Konflikte des Prophentendienstes erfahren und trotzdem durchgetragen. Seine Gebete sind oft erschütternde Klagen und Anklagen gegenüber Gott, von dem auch er enttäuscht ist. Und trotz alledem, trotz aller innerer und äußerer Dunkelheit strahlt viel Morgenröte in seinen Worten auf: eine Hoffnung, dass es anders, lichtvoll weitergeht;, dass Gott nicht stumm, ohnmächtig oder gleichgültig geworden ist – ganz im Gegenteil. Worte der Verheißung spricht er aus – für die Menschen damals und für uns heute: „Siehe, Tage kommen – Spruch des Herrn —, da schließe ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund.“

Ein neuer Bund also; laut einigen Auslegern istes eher angebracht, von einer Erneuerung und Bekräftigung der Bundeszusage Gottes an die Menschen zu sprechen, die stellvertretend – wir erinnern uns – an Noach, an Abraham und an Mose ergangen ist. Dieser Bund, diese aus Liebe geschenkte (Ver-)Bindung Gottes an die Menschen, ist – so könnte man sagen – alt geworden, hat immer wieder leiden müssen, weil die Menschen anderen Bünden nachgelaufen sind. Gefühlt das ganze AT erzählt genau diese Geschichten. Jetzt nun, so Jeremia, will Gott selber aktiv werden und neues Licht ins Dunkel bringen, das durch das Exil einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Durch Gottes Initiative wird das zerbrochene Verhältnis wiederhergestellt und erneuert. Und dieser neue Bund wird dem Volk direkt ins Herz gegeben. Die Erkenntnis des Herrn kommt also jetzt von innen heraus; die Beziehung zu Gott war und ist nämlich zu allererst eine Herzensangelegenheit und nicht, wie es oft den Anschein hatte, an bloße Gesetzeserfüllung gekoppelt. Ein Bund mit Gott ist also mehr als eine Rechtsordnung. Ein Bund mit Gott betrifft jeden Menschen zuinnerst und will die Menschen von innen her verwandeln.

Und damit sind wir auch schon beim Evangelium angelangt – zumindest bei einem Detail, das mich in der Vorbereitung besonders angesprochen hat. Da gab es einige Griechen – so begann der heutige Abschnitt aus dem Johannesevangelium. Diese Griechen wollten unbedingt Jesus sehen, was durchaus erstaunlich ist. Die Griechen sind in den NT-Texten ganz oft Repräsentant*innen der im ersten Jahrhundert vorherrschenden griechischen Philosophen-Schulen. Lukas nennt in der Apg sogar namentlich die Stoiker und Epikurer, also eine eher streng-nüchterne und eine eher lebensfroh-hedonistische Gruppierung. Wenn Johannes solche Griechen also nach Jesus suchen lässt, dann könnte dies dabei dahinter stecken: Die „Welt“ und die „Weltanschauungen“ haben jeweils ihren Sinn und ihre Berechtigung. Aber vielleicht fehlt ihnen doch etwas? Vielleicht kommen sie irgendwann an einen Punkt, an dem eine Sehnsucht wach wird, eine Suchen und Fragen nach etwas Größerem – so wie man nach einem vollen Tag innehält, wenn sich am Himmel ein oranges Abendrot zeigt, und sich vielleicht auf einmal Fragen auftun wie diese: Was macht mich glücklich? Was gibt mir Sinn und Halt, auch wenn alles haltlos wird in meinem Leben? Wo finde ich Erlösung von dem, was ich selber nicht lösen kann? Solche Fragen bringen unseren Glauben weiter – und wenn wir sie zulassen, sind sie eine gute Gelegenheit, um Jesus darin zu begegnen.

Und damit schließt sich der Kreis: Bei der von Johannes skizzierten Sehnsucht der Griechen und auch bei der Verheißung des neuen Bundes geht es im Grunde um den selben Vorgang: Gott in meinem Leben, in meinem Hoffen und Bangen, Danken und Feiern ganz persönlich zu begegnen – immer wieder und immer wieder neu. Das legen uns die heutigen Texte dringend ans Herz – allerdings nicht gleich einem rot-weiße Verkehrsschild als dringenden Appell, sondern eher so wie das schon mehrfach erwähnte Morgen- und Abendrot: als liebevolle, ermutigende, hoffnungsvoll stimmende Einladung. Jener neue Bund ist auch jeder*m von uns ins Herz gelegt – von jeher, das ist meine feste Überzeugung. Dies darfst Du heute neu erkennen, neu annehmen und dann Gott in Dir neu wirken lassen. Und dieser Bund wird im Leben Jesu konkret. Er selber ist das bekräftigende Zeichen für diesen Herzens-Bund Gottes mit uns Menschen. Wenn wir uns immer mehr auf Jesus einlassen, werden wir auch immer mehr in diesen Bund hineinwachsen – und das als glaubende Gemeinschaft. Diesen Bund dürfen wir Sonntag für Sonntag feiern, und dabei unsere Sehnsucht nach Jesus, unsere Träume von seinem Reich der Liebe wach halten, woran uns der orangerote Himmel beim Abendrot erinnern kann. Und wir dürfen uns in Brot und Wein stärken lassen in der Hoffnung auf ein Durchbrechen von Gottes Licht nach einer langen Nacht – wofür das orangerote Morgenrot ein Zeichen sein kann.

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gelb – Gedanken zum 4. Fastensonntag 2024

Gelb ist eine ganz schön ambivalente Farbe, wenn man der Kunstgeschichte glauben darf. Auf der einen Seite ziert oft ein warmes Safrangelb die christlichen Bekenner, also jene Menschen, die ihren Glauben offen, mutig und mit Herzblut bezeugt und so Gott ein Gesicht in der Welt gegeben haben. Petrus hat von vielen Malern ein gelbes Gewand angezogen bekommen, er der oberste Apostel, der das Christentum der Tradition nach bis nach Rom gebracht hat. Und auf der anderen Seite war besonders im ausgehenden Mittelalter ein eher kühles Senfgelb oder ein sehr dunkles Gallengelb die Farbe derer, die vom Glauben abgefallen waren und als Gesellen des Teufels galten, dessen Farbe ebenfalls das Gelb war. Auch Judas wurde, wie sein Mit-Apostel Petrus, von den Malern oft in Gelb gekleidet, dies vor allem wegen seines Neides. In Gelb zeigt sich also eine extreme Spannung von Licht und Finsternis: es ist sowohl die Farbe Gottes, wie auch die Farbe des Bösen.

Und damit sind wir mittendrin im Sonntagsvangelium: Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind. – diese Worte bilden den Schluss des Nachtgesprächs Jesu mit dem Schriftgelehrten Nikodemus. Das beschriebene Zu- und Gegeneinander von Licht und Finsternis ist eines der Lieblingsmotive des Evangelisten Johannes. Das Licht deckt auf, das Licht erleuchtet, das Licht wärmt und schenkt Erkenntnis. Die Finsternis verheimlicht, vereitelt, verschmäht und bringt den Tod – so könnte man seine Gedanken ein wenig systematisieren. Licht und Finsternis gehen nicht zusammen; und die Lichtgestalt des Glaubens, Jesus Christus, fordert eine radikale Entscheidung für das Licht, um selber nicht in der Finsternis zu Grunde zu gehen. Um zu diesem Weg zu ermutigen erzählt Johannes seine Botschaft von Jesus – so deute ich es zumindest. Und es ist gut, dass wir diese Geschichten immer wieder hören und uns zu Herzen gehen lassen.

Nun ist es aber doch so, dass unser Leben nicht schwarz und weiß ist, sondern – um die Eingangsgedanken wieder aufzugreifen – viel eher gelb. Wir haben einiges vom zum Heiligen gemachten gelb gewandete Petrus in uns: vollen Elan für den Glauben und ein Vorbild in Sachen Menschlichkeit – und doch fehlt es uns immer wieder genau daran (Zwischenbemerkung: wie gut, dass auch Petrus selber nicht nur perfekt war). Und manchmal verhalten wir uns auch so, wie der ebenfalls gelb gekleidete Judas, sind nicht ehrlich, feige, hinterhältig – warum, das sei heute einmal dahingestellt (dazu noch eine Zwischenbemerkung: auch über Judas ließe sich viel nachdenken und sein Schicksal hinterfragen, aber das würde hier zu weit führen). Und auch wenn wir garantiert nicht so sind wie die beiden gelben Apostel, ein wenig haben wir mit ihnen doch immer gemeinsam: mal mutig und kraftvoll glaubend, ein andermal versagend, verbittert oder verloren. Natürlich: so verlaufen die Glaubenswege von uns fehlbaren Menschen nun einmal, weil das Leben eben nicht schwarz und weiß ist – Gott sei Dank. Aber dennoch gilt es für uns als Christ*innen, gemäß der Botschaft des Evangelisten Johannes, das leuchtende, strahlende, lichtvolle gelb noch mehr zum Leuchten zu bringen! Das zu versuchen, dazu möchte ich Dich heute einladen.

Jesus spricht: „Um zu richten bin ich in die Welt gekommen: damit die Blinden sehend werden und die Sehenden blind.“ (Joh 9,39)

Das Leben fordert uns täglich heraus: Arbeit, Familie, Freizeit und vieles mehr. Oft fehlt uns die Zeit zum Innehalten und Ausatmen. Wir bleiben in dem stecken, was wir wollen und schaffen. Oft haben wir gar kein Bedürfnis für die Begegnung mit Gott.  Oder haben wir vielleicht manchmal sogar Angst, uns dem Licht Gottes auszusetzen? Haben wir noch ein Gespür dafür, dass das Leben mehr ist als die Erfüllung eigener Wünsche? Was hält uns immer wieder davon ab, uns Gott zuzuwenden?

Johannes sagt: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ (1 Joh 1,8)

Sünde ist ein unbeliebtes Wort – besonders, wenn es einen selbst betrifft. Oft sehen wir natürlich die großen „Sünden“ der anderen und die Versäumnisse von „denen da oben“. Sind wir deshalb schon frei von Sünden? Erst in der Begegnung mit Jesus wird uns aufgehen, wo noch unsere finsteren Schatten liegen. Oft sind es innere Haltungen wie Habsucht, Neid, Zorn, Geiz, Rachsucht, Egoismus, Hartherzigkeit, Pflichtvergessenheit und vieles mehr, die unser Leben verfinstern. Welche dieser lichtfangenden Haltungen möchte ich gerne überwinden?

Johannes sagt: „Wer sagt, er sei im Licht, aber seinen Bruder hasst, ist noch in der Finsternis. Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht; da gibt es für ihn kein Straucheln. Wer aber seinen Bruder hasst, ist in der Finsternis. Er geht in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht; denn die Finsternis hat seine Augen blind gemacht.“ (1 Joh 2,9-11)

Liebe und Licht bedingen sich gegenseitig. An der Liebe zum Nächsten erkennen wir, ob wir im Licht sind. Die mangelnde Liebe ist Zeichen innerer Finsternis. Vor welchen Menschen und Notlagen verschließen wir die Augen? Welche richtigen Schritte der liebevollen Zuwendung können wir vielleicht sehen, nur haben wir sie in den Schatten gestellt, weil wir davor zurückschrecken?  

Jesus spricht: „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12)

Die Wahrheit gilt es zu tun. Worte sind schnell gemacht – aber Taten? Nur wer sich an Christus orientiert, wird immer die Wahrheit tun. Wie steht es um unsere Bereitschaft, das Wort Gottes zu hören? Sind wir bereit, in unserem Glauben zu wachsen, ihn zu vertiefen, so dass er auch in unserem Umfeld Bestand hat? Sind wir bereit, den Glauben auch in ein Leben im Geiste Jesu zu übersetzen?

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grün – Gedanken zum 3. Sonntag der Fastenzeit 2024

Hast Du einen grünen Daumen? Ich mag dieses geflügelte Wort, auch wenn meine Daumen alles andere als grün sind – leider. „Menschen, die einen grünen Daumen haben, haben ein besonderes Talent für Gartenarbeit. Ihre Blumen werden besonders schön, ihr Gemüse besonders knackig und ihr Obst besonders lecker. Dafür muss man aber viel Zeit im Garten verbringen und sich die Hände schmutzig machen.“ – so erklärte es einmal ein Redakteur der Zeitschrift GEO. Sicher, ein gewisses Maß an Talent, die nötige Begeisterung und vor allem Freude gehören beim grünen Daumen schon auch dazu; ebenso aber auch das Dranbleiben, die Ausdauer und ein gutes Maß an Fleiß und Gründlichkeit. Sonst wird’s nämlich nichts mit Gemüse, Blumen und Sträuchern.

Die Farbe grün beim Begriff des grünen Daumens steht – wie könnte es anders sein – für die Lebendigkeit. Ich finde, an den grünen Pflanzen, am Wachsen und Gedeihen – besonders jetzt im anbrechenden Frühjahr – kann man die Kraft, die im Leben steckt, ganz besonders intensiv wahrnehmen. Etwas wird gesät oder geht vielleicht auch von selbst auf. Langsam sprießen junge grüne Keime aus der braunschwarzen Erde. Für den guten Umgang mit den grünen Keimlingen ist dann der grüne Daumen gefragt: gießen, düngen, jäten – und manches mehr. Dann wachsen die kleinen Triebe und auf einmal ist der Garten voller prächtiger Pflanzen. So weit so gut. Wäre da nicht auch noch eine ganz gemeine Gattung von Gewächsen: das Unkraut. Zwischen die Nutz- und Zierpflanzen schleicht es sich ein und bis man sich versieht hat es Beet für Beet erreicht oder gar erobert. Auch jetzt müssen die gründäumigen Menschen wieder ran: in mühevoller Arbeit müssen sie jetzt ausreißen, ausgraben oder ausmerzen, damit der Garten wieder schön aussieht, und das gute Grün sich entfalten kann

Könnte man dieses merkwürdige Sonntagsevangelium auch unter diesen Vorzeichen lesen? Gott hat sich seinem Volk immer wieder offenbart, hat ihm seinen Bund angeboten: dem Noach, dem Abraham, dem Mose und vielen anderen mehr. Und die Menschen antworten dieser Kontaktaufnahme: sie versuchen die Gesetze zu halten und ehren Gott in der Weise, wie es für sie in ihrer Zeit stimmig war, durch Opfer im Tempel. Auch hierbei wächst so manches auf: die Beziehung zwischen Gott und Mensch entwickelt sich, die Theologie entdeckt nach und nach ganz neue Seiten an Gott und das menschliche Zusammenleben, als Spiegel der Verbindung zum Schöpfer, wird geregelt. Doch auch hier schleicht sich irgendwann, ganz langsam, so manches an Unkraut ein. Jesus prangert heute ganz massiv an: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle! Um den Tempel herum hatten sich viele Händler angesiedelt, die den Gläubigen die Gottesverehrung durch ihr Warenangebot erleichtern und sich selbst ein erträgliches Einkommen bereiten wollten. Ist doch gar nicht so schlimm? Doch sagt Jesus, weil all das das Eigentliche und Wesentliche der Gottesbegegnung verdrängt und den Menschen eher daran hindert, Gott zu ehren und den Glauben zu leben.

Wie aber sieht rechter Gottesdienst und erfüllender Glaube aus? Eine Antwort bleibt das Evangelium schuldig, so wie es auch keine Idealbepflanzung gibt, die in jedem Garten gleich gut wächst. Was dem Leben in Fülle wirklich dient, jenem heilsamen und Frucht bringenden Glaubens-Leben, von dem Johannes so eindrücklich erzählt, das muss wohl jede*r ganz persönlich herausfinden. Am allerwichtigsten ist dabei zu allererst, den Kontakt zu Gott nicht zu verlieren, die Beziehung zu ihm nicht durch anderes zuwuchern zu lassen. Dranbleiben und vertiefen – das ist so wichtig in Sachen Glaube und Spiritualität. So darfst Du Dich heute ganz bewusst fragen: Wie pflege ich meine Beziehung zu Gott? Was lässt meinen Glauben wachsen? Was ist mir wirklich wichtig in meinem Leben und in meinem Glauben? Was hat sich darin vielleicht wie Unkraut ausgebreitet, und müsste dringend beseitigt werden? Wie könnte ich das angehen und was würde mir dabei helfen?

Das klingt alles nach ganz schön viel Arbeit – aber so ist das nun einmal, mit der Gartenarbeit und mit der Hege und Pflege der eigenen Spiritualität. Dabei soll uns das Evangelium nicht auch noch eine Einschüchterung sein mit dem rabiaten Verhalten Jesu. Vielmehr lese ich darin eine ermutigende Zusage, dass Jesus auch bei uns so eine wachstumsförderliche Grünpflege durchführen wird, wenn wir ihn lassen und ihn dabei unterstützen. Manchmal braucht man beim rein halten – des Gartens und mehr noch des eigenen Herzens – Hilfe. Dies anzunehmen kann bisweilen ganz schön kräftezehrend sein, was sich aber auszahlt! Und wie man auch beim Garteln oft nicht weiß, was am Ende aus dem angebauten Gut alles wird und sich umso mehr freut, wenn die Blumen blühen und die Früchte reifen, so dürfen wir uns in dieser Fastenzeit auf diesen Weg begeben, der bisweilen mühevoll sein wird, aber vor allem spannend und hoffnungsvoll. Denn bald schon dürfen wir Ostern feiern, den schönsten Vorgeschmack des Lebens in Fülle bei Gott, der mit seinem grünen Daumen unser Dasein hegt und pflegt, wie niemand sonst es kann.  

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blau – Gedanken zum 2. Fastensonntag 2024

Der Himmel ist blau. Das ist die Wahrheit.
Der Himmel ist nicht blau. Die Luftmoleküle streuen lediglich den Blau-Anteil des Sonnenlichts stärker als die übrigen Spektralfarben. Das ist die Wahrheit.
Es gibt in der Außenwelt überhaupt kein Blau. Es gibt elektromagnetische Wellen der Wellenlänge 470 Nanometer, die unser Hirn dazu bringen, sich Blau vorzustellen. Auch das ist die Wahrheit. Und wenn ich all das weiß und an einem schönen Tag den Blick hebe,
dann ist der Himmel immer noch blau.

Diese, aus meiner Sicht, sehr ernüchternden Gedanken stammen vom Journalisten Peter Hohl und bringen eine wichtige Tatsache auf den Punkt: hinter dem Offensichtlichen liegt eigentlich immer noch viel viel mehr. Dies sich bewusst zu machen, kann erhellend oder enttäuschend sein – oder auch beides. Es ist gut und wohltuend, den blauen Himmel zu sehen – gerade jetzt, nach dem langen dunklen Winter. Und es ist auch gut und richtig, sich mit diesem Phänomen auseinander zu setzen, mit der Brechung und Reflexion einzelner Lichtspektren etc. Die Kunst liegt meiner Meinung nach dann darin, beides zusammenzubringen: den Blick für das „Wunder“ des blauen Himmels nicht zu verlieren, bzw. diesen Blick nicht als blauäugig abzustempeln – und andererseits auch nicht selber blauäugig zu werden und sich vor der anderen Seite der Wahrheit zu verschließen.

Im Sonntagsevangelium geht es im Grunde um einen ganz ähnlichen Prozess – und zwar aus der Perspektive des Glaubens. Der Evangelist Markus lässt die drei engsten Vertrauten Jesu mit ihm zusammen auf einen nicht näher bestimmten hohen Berg gehen. Dieser lange Marsch lässt sie Abstand gewinnen von all dem, was sie zuvor beschäftigt hat: viele Kranke natürlich, Streitgespräche mit den Pharisäern und – was vielleicht am wichtigsten war – die Frage nach der Sendung und dem Wesen, vielleicht auch nach der Wahrheit Jesu. Für wen halten mich die Menschen? Das waren Jesu Worte an seine Jünger in dem der heutigen Stelle unmittelbar vorausgehenden Abschnitt. Was seht ihr in mir? Was sehen die anderen in mir? Hierbei geht es nicht um eine Form der Selbstdarstellung oder Evaluation. Diese Frage ordert die Jünger*innen und vor allem die Leser*innen und Hörer*innen zutiefst heraus: Acht Kapitel lang wart Ihr mit mir unterwegs, habt gesehen, was ich tat und gehört was ich sagte. Was bleibt bei Euch davon hängen? Was ergibt sich jetzt für ein Bild von mir in Eurem Herzen?

Die Antwort, die Petrus gibt – und die letztlich den Lesenden und Hörenden des Markusevangeliums von Anfang an klar ist – ist folgende: Du bist der Sohn Gottes. Ein großes Wort, das verschiedene Deutungen möglich macht. Was es unter anderem damit auf sich hat, das führt Markus in der heutigen Episode aus. Martin Luther hat das, was hier erzählt wird, mit dem Begriff Verklärung übersetzt. Wir kennen den ‚verklärten Blick‘, der alles schöner sieht, als es ist. Blauäugig sagt man zu solchen Menschen auch… Aber mit dem Begriff Verklärung ist das Gegenteil gemeint. In Norddeutschland gibt es das schöne Wort verklaren, was so viel heißt wie: auf einmal klarsehen. Verklaren − in einem Moment der Klarheit sehen die Jünger, wer Jesus wirklich ist: der Messias, der Retter, der den Tod und das Leid nicht einfach hinwegfegt, sondern durch all das hindurchgeht und es so überwindet.

In diesem Jesus strahlt, so könnte man auf die Eingangsgedanken hin übertragen, in ihm strahlt der blaue Himmel auf, jenes Leuchten des Lebens. Gibt es eine bessere Farbe als Blau? Wählte nicht das Himmelsgewölbe die blaue Seide als ihr Kleid? Wer blau ist, wie der Himmel, sitzt bei der Sonne zu Gast. – So schrieb einst der persisch Dichter Nezami. Vielleicht spiegelt das ja in etwa das wider, was die drei Jünger hier erfahren durften. Jesus wird verwandelt und vom Himmel her angeredet als der geliebte Sohn Gottes. Verständlich, dass dies in den drei Zaungästen Furcht auslöste, wie Markus schreibt. Bei mir persönlich weckt diese Erzählung aber vor allem Staunen über die Tatsache, die uns in unserem kirchlichen Reden immer so leicht von den Lippen kommt: Jesus ist Gottes Sohn. In diesem Menschen begegnet uns ein Stück Himmel auf Erden. Vor allem Erklären und Nachdenken, was das konkret bedeutet, wie sich die Gottessohnschaft in der Geschichte artikuliert hat, was überlieferungsgeschichtlich relevant ist usw. steht eine ganz persönliche Begegnung. Ich als Mensch darf in Jesus Gott selbst in meinem Leben begegnen. Wenn ich ihm mein Herz öffne, dann ist das ein wenig so, wie bei der Sonne zu Gast zu sitzen, um den persischen Dichter noch einmal aufzugreifen. Dann wächst auch in mir ein Stück Himmel. Sich darin einzuüben – das ist nicht blauäugig, sondern etwas ganz Wichtiges für die Fastenzeit und für unser ganzes Glaubensleben; und vielleicht kann der blaue Himmel ja eine ganz gute Erinnerungshilfe dafür sein.

So weit so gut – wäre da nicht dieser merkwürdige Schluss im Evangelium: Während sie den Berg hinabstiegen, gebot er ihnen, niemandem zu erzählen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei. –Es gibt in der Außenwelt überhaupt kein Blau. Es gibt elektromagnetische Wellen der Wellenlänge 470 Nanometer, die unser Hirn dazu bringen, sich Blau vorzustellen. Auch das ist die Wahrheit – das waren die Eingangsgedanken… Dass Jesus Gottes Sohn ist, hat nun nicht nur diese himmelblaue Färbung. Wer auf Jesu Leben schaut, wird auch diese Ernüchterung spüren, die für die ersten Christ*innen ein ernstes Problem war: der Sohn Gottes musste sterben. Jesus ist kein messianischer Held im blauen Cape wie Superman, der alle Feinde hinwegfegt. Er geht seinen Weg der wehrlosen Liebe, der echten Menschlichkeit, der unbequemen Verkündigung bis zuletzt – und wird von Gott nicht im Stich gelassen. Wie gesagt, für unsere Ohren klingt das alles wenig spektakulär, für die Menschen damals war das nicht so leicht zu schlucken – vielleicht vergleichbar mit der Erkenntnis, dass der Himmel eigentlich gar nicht blau ist. Und ich denke, dass uns auch dieser Gedanke für den restlichen Weg der Fastenzeit ganz gut tun könnte: Wer ist dieser Jesus? Welche Seiten an ihm habe ich vielleicht noch gar nicht entdeckt oder auch bewusst zur Seite geschoben? Welche Konsequenzen hat es für mein Leben, wenn ich mit Glauben an ihn ernst mache – gerade auch hinsichtlich des Umgangs mit Sorgen und Leid? Jesus ist durch das Leiden gegangen, durch den Tod zur Auferstehung, um auch jeder*m von uns diesen Weg zu bahnen. Das heißt freilich, dass das Leid und die Mühsal uns nicht erspart bleiben, auch nicht, wenn wir an Jesus glauben. Aber es heißt auch, dass das Ziel für uns dasselbe ist: der Himmel – nicht der blaue, sondern jene Wirklichkeit, in der nur noch die himmlischen Worte aus dem Evangelium zählen: du bist mein geliebtes Kind.

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Violett – Gedanken zum 1. Fastensonntag 2024

„Ich glaub, es stinkt Gott, wenn du irgendwo in einem Feld an der Farbe Lila vorbeigehst und sie nicht siehst.“ Ein Satz, der Literaturgeschichte geschrieben hat, denn er hat einem großen Roman den Titel gegeben: „Die Farbe Lila“ von Alice Walker, ausgezeichnet mit dem Pulitzer Preis. Stephen Spielberg hat den 1982 erschienenen Roman verfilmt – unter anderen mit Whoopie Goldberg in einer der Hauptrollen. Es geht um das Leben afro-amerikanischer Frauen in den Südstaaten Amerikas, um Rassen- und Frauendiskriminierung, um patriarchale Gewalt. Es geht um Celie, eine schwarze Frau, die vom Vater missbraucht und in eine schlimme Ehe gedrängt wird; sie kann mit niemanden sprechen als mit Gott. Bis sie Shug Avery kennen lernt, eine selbstbewusste Sängerin. Diese Frauenfreundschaft verändert Celie – sie entdeckt die in ihr schlummernden Kräfte, befreit sich langsam aus ihrem Gefängnis von Gewalt und Unterdrückung.

Lila ist – nicht nur im Roman von Alice Walker – mehr als nur ein neugierig machendes Wort im Titel. Lila – oder eben Violett – verbindet die Farben Rot und Blau: Rot – Farbe des Blutes und des Feuers, der Leidenschaft. Blau – die Farbe des Wassers, der Kühle, der Gelassenheit. Lila verbindet, so die Theorie der Farblehre, die Gegensätze auf harmonische Weise; Himmel und Erde berühren sich darin, Neues entsteht. Dieses Neue, dieses Überwinden der himmelschreienden Gegensätze des Unrechts, das ist auch die Hoffnung, die Alice Walker in ihrem Roman so eindrucksvoll herausschreibt.

Unrecht überwinden, neu anfangen – im Grunde geht es auch in der heutigen Lesung aus dem Buch Genesis genau darum. Wir haben den Schluss der Sintfluterzählung gehört. Eine Geschichte, die leider viel zu oft auf die von Tieren bunt bevölkerte Arche des von Gott erwählten Noach reduziert wird. Eine Geschichte, die eigentlich total einschüchternd ist: „Der Herr sah, dass auf der Erde die Bosheit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben und es tat seinem Herzen weh.“ (Gen 6,8) Der hier skizzierte göttliche Herz-Schmerz mündet in einer drastischen Maßnahme: eine riesige Flut sollte kommen und alles Böse davonspülen, sodass nur die Gerechten – also Noach mit seiner Familie und die bereits erwähnten Tiere – übrig bleiben. Der Grund für diesen fahrbaren Zoo war also ein ganz grausames Hinrichten unzähliger Lebewesen – so die Erzählung.

Hier könnte ich nun wieder einmal über das der Geschichte zu Grunde liegende grausame Gottesbild klagen, und dazu gäbe es Grund genug. Aber ich möchte heute eine andere Perspektive wählen – und zwar die der Autoren. Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben und es tat seinem Herzen weh – so haben sie geschrieben. Könnte es nicht sein, dass dieser Gott zugeschriebene Schmerz eigentlich ihr eigener ist? Der Schmerz, die Wut, die Trauer über das Unrecht, die Ausbeutung, die Gewalt… Angesichts der vermuteten Lebensverhältnisse vor 3000 Jahren ist all das durchaus verständlich. Heute gibt es Mittel und Wege und vor allem auch die gesellschaftlichen Strukturen, grundsätzlich gegen die Gegensätze der Ungerechtigkeit und die Spirale der Gewalt etwas zu unternehmen. Damals blieb wohl allein die Hoffnung, dass Gott selber, der Schöpfer und Erhalter der Welt, sich dessen annehmen würde. Und ich muss schon zugeben, manchmal wäre es schon verlockend, wenn alles Schlechte, Böse und Lebensfeindliche auf der Welt einfach weggespült werden könnte…

Aber: so die Botschaft der heutigen Lesung – das wird es nicht mehr geben. „Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben. Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde.“ Der Regenbogen bezeugt allen Generationen, so die Botschaft, dass Gott sich mit uns Menschen verbündet hat. Er reicht uns die Hand, dass wir auf unserem Weg nicht verloren gehen, und dass wir unser Schicksal und das Welt selber in die Hand nehmen.

Dafür steht dieser Regenbogen mit seinen Farben, die uns durch die Fastenzeit heuer begleiten. Und ich finde es durchaus passend, angesichts der Sintfluterzählung, mit der die Leseordnung die Reihe der Bibeltexte auf dem Weg nach Ostern hin eröffnet, heute die Farbe Violett, die unterste der Regenbogenfarben in den Blick zu nehmen. Für mich bringt dieses Violett eine große Sehnsucht zum Ausdruck, eine Sehnsucht, und vielleicht auch den Beginn von Heilung, von Befreiung und Aufrichtung aus Leid und Unterdrückung. Es ist die Farbe der Wandlung, der Umkehr, die das Leid weder ausblendet noch sich damit abfindet, es weder um jeden Preis meidet noch es verherrlicht. Sondern auf Gottes Kraft, auf sein Kommen und Durchdringen unserer Welt vertraut. Eine Farbe, die mahnt, das Unrecht in der Welt nicht ins sich hineinzufressen, sondern an Gott abzugeben und selber einen Teil dazu beizutragen, dass Gegensätze überwunden werden können. Eine Farbe also, die einem die Augen noch einmal neu öffnen kann für die Zeit der Umkehr und der Buße. Eine Farbe, die einem viel öfter im Alltag begegnet, als man denkt. Also: Genau hinschauen in diesen 40 Tagen; denn, so Alice Walker in ihrem Roman: „Ich glaub, es stinkt Gott, wenn du irgendwo in einem Feld an der Farbe Lila vorbeigehst und sie nicht siehst.“

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